Interview mit Delara Burkhardt

Mitglied im Europaparlament

1. Moin Delara! Du bist in Stormarn groß geworden und nun seit 2019 Mitglied des Europäischen Parlaments für die SPD/SPE. Was kannst Du für Deine Arbeit in Brüssel und Straßburg aus Stormarn mitnehmen?

Viele meiner ersten bewussten „europäischen Erlebnisse“ nenne ich sie mal, hatte ich natürlich als Stormarnerin. Ich habe an der Grundschule Wöhrendamm Rechnen mit dem Euro gelernt und beim Schüler*innenaustausch in die französische Bretagne neue Freund*innen gefunden. Stormarn ist aber auch sehr ein Kreis, in dem es sehr viel Wohlstand gibt. Gleichzeitig leben allein über 9000 Kinder in Stormarn in Armut oder sind von Armut bedroht. Obwohl wir so reich sind, gibt es sehr große Ungleichheiten. Das ist in Stormarn so, aber auch in Europa. Und daran muss man mit Politik was ändern!

2. Schleswig-Holstein ist Vorreiter für politische Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in der Kommunalpolitik. Hast Du Dich früher politisch ausreichend beteiligt gefühlt?

Nein und das ist genau der Grund, warum ich politisch aktiv geworden bin. Das war als wir 2008 die Schülerstreiks hatten, weil das Abi in 8 Jahren eingeführt wurde. Ich dachte: Es kann doch nicht sein, dass eine Entscheidung unser Leben als Schüler*innen betrifft und wir zu wenig mitreden dürfen. Es stimmt, das Schleswig-Holstein sehr weit ist, wenn es um Jugendbeteiligung geht. Aber es ist eben auch wichtig, junge Menschen an den Orten zu haben, wo die tatsächlichen Entscheidungen dann getroffen werden. Das ist in den Parteien und Parlamenten der Fall. Deswegen war es mir wichtig, auch als junger Mensch in einer Partei aktiv zu werden. Und das mach ich nun schon seit ich 15 bin.

3. Du bist jünger als die meisten Deiner Parlaments-Kolleg_innen. Hast Du das Gefühl, dass Kinder, Jugendliche und junge Menschen in den Parlamenten unterrepräsentiert sind?

Absolut. Ich bin mit 28 die jüngste deutsche Abgeordnete, in vielen Jugendverbänden des Kreisjugendrings wäre ich schon „zu alt“. In meinem ersten Jahr als Abgeordnete ist mir aufgefallen, dass wenn man es nicht will, man als Europaabgeordnete*r sehr leicht jungen Menschen aus dem Weg gehen kann. Weil viele der Verbände, Unternehmen, Organisationen, mit denen man sich im politischen Tagesgeschäft austauscht, eben Erwachsene sind. Und was viele gar nicht wissen: Im Europäischen Parlament haben wir 42 Wochen im Jahr, Montag bis Donnerstag Sitzungen in Straßburg oder Brüssel. Da bleibt wenig Zeit übrig. Mit meinen Social Media Accounts nehme ich aber trotzdem viele mit und versuche die Arbeit als Abgeordnete gerade für andere junge Menschen transparent zu machen. Und mit meinem Projekt „Europa Denk Schule“ werden Schulklassen zu meinen „Politikberatern“ und können im Unterricht Ideen für europäische Politik entwickeln. Aber es liegt eben auch an uns! Nur wenn junge Menschen in die Parteien gehen und sich auch trauen zu kandidieren, kommen mehr junge Menschen in die Parlamente!

4. Ist politische Beteiligung, wie sie in Schleswig-Holsteiner Kommunen stattfinden muss(!), auch ein Modell für höhere politische Ebenen?

Ich finde es superwichtig, Jugendbeteiligung auch auf europäischer Ebene auszuweiten. Dafür müssen wir Formate entwickeln, die nicht nur Beteiligung simulieren, sondern dafür sorgen, dass die erarbeiteten Punkte auch tatsächlich Einfluss nehmen. Und wir müssen dafür sorgen, dass sie für alle zugänglich sind. Vor Ort anzufangen, junge Menschen für europäische Themen zu interessieren und zu mobilisieren ist deshalb ein wichtiger Anfang!

5. Welches Alter wäre aus Deiner Sicht für den Einstieg in das Wahlrecht optimal?

Egal ob Klima, Bildung, Digitalisierung: Politik entscheidet darüber, wie Zukunft aussieht. Und junge Menschen leben länger mit den Konsequen-zen dieser Entscheidungen. Ich finde es deswegen richtig das Wahlalter abzusenken. Das Wahlalter 16, womit wir ja auf Kommunaler und Landesebene schon Erfahrungen haben, ist dafür auch bei Bundestags- und Europawahlen ein guter Anfang. Ich finde aber auch Diskussionen spannend und wichtig, die noch früher ansetzen.

6. Schaut man in einige Medien, dann sei die EU in den letzten Jahren vom Musterkind zum Sanierungsfall geworden. Stimmt das? Und was sind die größten Herausforderungen der nächsten Jahre?

Viele Entwicklungen der letzten Jahre haben auch mir sehr große Sorgen gemacht, weshalb ich ja auch entschieden habe, anzupacken und mitzuverändern. Eine große Finanzkrise, die zu vielen Kürzungen in den betroffenen Ländern geführt hat. Mit Großbritannien, dem Brexit, verließ ein Mitgliedstaat erstmals die EU. Überall in Europa werden Rechtspopulist*innen stärker. In Ländern wie Polen und Ungarn werden die Rechte von Minderheiten, Pressefreiheit und die Rechtstaatlichkeit von Regierungen angegriffen. An den EU-Außengrenzen ertrinken Menschen oder harren in unmenschlichen Lagern wie Moria aus. Und obwohl so viele junge Menschen auf der Straße Druck machen, hinken wir hinterher, wenn es darum geht das Klima zu schützen. Aber das sind alles Dinge, die müssen nicht so bleiben wie sie sind. Die kann man verändern. Es gibt also eine Menge zu tun und anzupacken! Gerade unsere Generation, die Europa als Selbstverständlichkeit empfindet, ist da in der Verantwortung das Projekt weiter zu entwickeln.

7. Hat die EU auch ein Marketing-Problem?

Ich würde eher sagen ein Öffentlichkeits-Problem. Super viele wichtige Dinge werden jeden Tag auf europäischer Ebene entschieden. Die direkt auf unseren Alltag wirken. Ab nächstes Jahr gibt es in der EU beispielsweise ein Verbot von Einwegplastik. Das ist superwichtig, weil wir viel zu viel Plastik verbrauchen in Europa und vieles davon in den Meeren landet und unsere Umwelt verschmutzt. Nur selten kann man in den Nachrichten so genau lesen, was in der EU passiert, wie man das zum Beispiel aus der Bundespolitik hört. Wir müssen als Europa und Europäische Entscheidungen viel sichtbarer machen und viel mehr drüber diskutieren. Denn für uns alle ist es ziemlich logisch: Herausforderungen wie der Klimawandel, Migration, Digitalisierung machen nicht an Grenzen halt. Da ist es wichtig über Grenzen hinweg zusammen zu arbeiten.

8. Welche Ziele hast Du Dir persönlich für Deine Amtszeit gesetzt? Woran arbeitest Du am meisten?

Ein großes Ziel von mir ist es, durch meine Arbeit im Parlament und deren Begleitung, zum Beispiel in sozialen Netzwerken, europäische Politik nahbarer zu machen. Besser zu erklären als es jetzt passiert. Politisch setze ich mich vor allen Dingen für Klima- und Umweltpolitik ein. In meinem ersten Gesetzesvorschlag habe ich mich zum Beispiel dafür eingesetzt, dafür zu sorgen, dass wir mit der Schokolade, dem Palmöl, das auch wir in Stormarn essen, nicht dazu beitragen, dass an anderen Orten der Welt Wälder brennen und Menschenrechte verletzt werden. Ich möchte aber auch daran arbeiten, dass Menschen, die vor Krieg, Gewalt und anderen Sorgen auf der Flucht sind, Schutz in Europa finden und ein faires Asylverfahren. So viele Städte und Gemeinden in Schleswig-Holstein sind bereit Geflüchtete aufzunehmen. Das muss möglich sein!

 

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